Dürfen Menschen vergeben? Ist das unser Platz?
Wenn ich die Frage stelle, „Dürfen Menschen vergeben?“, meine ich nicht, ob wir technisch gesehen sagen können: „Ich vergebe dir“. Nein, ich meine, ob das unser Platz ist! Steht es uns Menschen wirklich zu, zu vergeben?
Nachdem ich hier bereits über Vergebung als neue New Age Religion geschrieben hatte, möchte ich in diesem Artikel und Video das Thema noch eingehender und tiefer beleuchten, denn es geht mir um die realen Gefahren, die mit der Vergebung verbunden sind.
Video – Dürfen Menschen vergeben? Wirklich?
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Warum das?
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Bert Hellinger: Dürfen Menschen vergeben?
Bert Hellinger sagte mal: „Wenn man vergibt, ist die Beziehung vorbei.“ Das wird meist so gedeutet, dass er meinte, in Liebesbeziehungen sei Vergebung, z.B. eines Seitensprungs, das Ende.
Ob er es so meinte oder nicht, aus meiner Sicht wird ein Schuh draus, wenn wir seine Aussage universell betrachten. In dem Moment, wo wir vergeben, verlassen wir die Ebene der zwischenmenschlichen Beziehung auf Augenhöhe.
Jesus: Dürfen Menschen vergeben?
Schauen wir dazu auf ein legendäres Ereignis: „Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Lukas 23,34. Warum erwähne ich das hier?
Ganz einfach: Selbst Jesus, der als herausragende Gestalt, als Erlöser und Gottmensch gesehen wird, vergibt nicht selbst.
Er weiß, dass es nicht sein Platz ist, anderen zu vergeben. Er bittet daher seinen Vater, denen zu vergeben, die ihm Schmerz zugefügt haben. Er gibt das Leid an die Quelle zurück und sagt nicht etwa: „Ich vergebe euch, denn ihr wisst nicht, was ihr tut.“
Dürfen Menschen vergeben? – Nein, Vergebung ist Anmaßung!
Vergebung eines Menschen für einen anderen Menschen ist eine Anmaßung. Wir verlassen damit den Platz des Menschlichen und spielen selbst Gott. Besonders leicht erkennbar wird dies in Beziehung von Kindern zu ihren Eltern.
Eltern machen Fehler. Diese sind oft schmerzhaft. Darunter leiden die Kinder. Dennoch fließt das Leben von den Eltern zu den Kindern. Die Eltern stehen also über dem Kind. Nur so kann das Kind von den Eltern empfangen.
Wenn nun aber das Kind den Eltern vergeben will, verlässt es seinen Platz als Kind und stellt sich über die Eltern. In dem Moment ist es nicht mehr dort, wo das Leben es hingestellt hat, sondern in einer kindlichen Anmaßung.
Systemische Verstrickung – Dürfen Menschen vergeben?
Als Kinder können wir den Schmerz, den die Eltern uns zugefügt haben, in uns heilen. Wir können Traumata erkennen und auflösen. Auf diesem Weg kann auch Verständnis für die Mechanismen entstehen, die zum für das Kind schmerzhaften Verhalten der Eltern geführt haben.
Aber wenn das Kind diesen Prozess nun beenden will, indem es den Eltern vergibt, spielt es eine Rolle, die ihm nicht zusteht! Vor allem tut es so, als läge es in seiner Macht, etwas zu beenden. Der Anfang lag nicht in unserer Macht. Ebenso wenig das Ende.
Insbesondere, wenn es den Eltern nicht mal leid tut, ist die Versuchung besonders groß, hier selbst aktiv zu werden und vergeben zu wollen. Tatsächlich löst diese vermeintliche Vergebung nichts, sondern erzeugt nur eine systemische Verstrickung.
Ich kann verstehen, wenn man den Schmerz, den einem die Eltern zugefügt haben, endlich hinter sich lassen möchte. Ich kann verstehen, wenn man nicht abwarten will, dass der Schmerz anfängt, sich zu lösen, weil man Traumaarbeit mit den Ereignissen macht.
Dürfen Menschen vergeben? Unsere Bewusstseinszustände
Ich spreche ja immer wieder von den Zuständen des menschlichen Bewusstseins, die ich als D+U+M=M, H+A+S=S und L+E+B=E! beschreibe, wobei der H+A+S=S Zustand zwei Ausprägungen hat, eine introvertierte und eine extrovertierte.
Wenn Du mit diesem vier Prinzipien noch nicht vertraut sein solltest, schau sie Dir bitte in den hier verlinkten Artikeln und Videos an. In Teil 1 geht es um den D+U+M=M – Zustand, in Teil 2 um die beiden Formen von H+A+S=S und in Teil 3 um L+E+B=E!, unseren natürlichen Zustand.
Der Zustand, in dem Trauma bewusst wird, ist der des H+A+S=S introvertiert. Hier erleben wir im Herzen Hilflosigkeit, im Bauch Autoaggression und im Kopf Selbstzweifel, was letztlich in die Selbstzerstörung führt, wenn wir keine Lösung finden.
Da es ja nur vier potenzielle Zustände gibt, sind die möglichen Auswege aus H+A+S=S introvertiert also D+U+M=M, H+A+S=S extrovertiert und L+E+B=E!. Vergebung ist dabei der Weg von H+A+S=S extrovertiert, was die wenigsten Menschen verstehen.
Dürfen Menschen vergeben? Welcher Bewusstseinszustand wirkt in Vergebung?
Wenn wir jedoch genau hinschauen, verstehen wir es sofort. Um zu glauben, vergeben zu können, müssen wir im Solarplexus hochmütig werden. Wir glauben, etwas tun zu können, das wir nicht vermögen.
In der Wurzel werden wir dabei aggressiv. Wie kann das denn sein, fragst Du nun vielleicht? Wenn ich vergebe, bin ich doch ganz lieb? Schau einfach genau hin! Dann erkennst Du es selbst! Vergebung ist auf der körperlichen Ebene ein aggressiver Akt.
Es wird dabei etwas gemacht. Invasiv. Eindringend. Im Grunde also sowas wie eine spiritualisierte Vergewaltigung. Und was folgt daraus auf der geistigen Ebene? Wir kommen dann zur Selbstüberhöhung in der Kehle! Die Folge davon ist die Selbstverhärtung.
Vergebung macht uns also nicht weicher, offener oder lebendiger, sondern verhärtet uns. Vergebung gibt uns Macht. Und Macht hat nichts mit Liebe zu tun. Die Verhärtung führt dazu, dass wir den Schmerz über die erlittenen Verletzungen in uns einkapseln, statt ihn zu lösen.
Vergebung führt also letztlich nicht zur ersehnten Heilung, sondern in die Krankheit. Vor allem, weil in der Vergebung ja die Idee steckt, mit ihr etwas beenden zu können, oder hinterher, etwas beendet zu haben.
Dieser Trugschluss hat nichts mit dem Lebendigen zu tun, führt uns also nicht in L+E+B=E!, nicht in unseren natürlichen Zustand von Liebe im Herzen, Entschlossenheit im Bauch und Bewusstheit im Geist, sondern stattdessen in D+U+M=M.
Dürfen Menschen vergeben? Vergebung führt in D+U+M=M
Vergebung führt zu Dumpfheit im Herzen, Unklarheit im Bauch und Minderwertigkeit und Mangel im Geist. Wir machen uns klein, wenn wir glauben, vergeben zu müssen. Wir verbauen uns damit den Weg, eigenverantwortlich in die Heilung und Lösung schmerzhafter Erlebnisse zu finden.
Anzuerkennen, dass mir Schmerzhaftes widerfahren ist, löst zunächst H+A+S=S introvertiert aus. Aber da gibt es noch einen vierten Zustand, den ich bereits erwähnt hatte. Und auch in den kann die Reise gehen, wenn wir es zulassen: L+E+B=E!
Wir erkennen dabei völlig an, dass uns Schmerz zugefügt wurde. Wir waren hilflos und fühlen uns auch heute noch so, wenn wir uns an das Ereignis erinnern.
Die natürliche Reaktion auf diese Erkenntnis ist, dass wir ärgerlich werden. Wir stellen uns also über den oder die Täter und beschuldigen sie. Innerlich oder äußerlich. Mit anderen Worten, wir gehen aus H+A+S=S introvertiert in H+A+S=S extrovertiert.
Dürfen Menschen vergeben? – Vergebung löst kein Trauma
Wir spielen Richter und in unserer Fantasie vielleicht sogar Henker in Bezug auf die Täter. All dies löst nichts, übrigens auch keine gerichtliche Verurteilung der Täter, denn der Schmerz, der hinter alldem steckt, bleibt ungeheilt.
Das gilt übrigens nicht nur in Bezug auf individuelles Trauma, sondern auch in Bezug auf kollektives Trauma. Auch, wenn Gruppen von Tätern in Kriegsverbrecherprozessen verurteilt werden, löst das nicht das Trauma der Opfer. Viele Leute fantasieren ja heute auch von Prozessen gegen Leute wie Merkel oder Gates. Über die dahinter steckenden Mechanismen sprach und schrieb ich hier.
Nach einer Verurteilung der Täter durch mich, das Opfer, sei es innerlich oder auch äußerlich, wenn ich die Täter konfrontiere, oder gar vor Gericht, bleibt am Ende nur die Rückkehr in den D+U+M=M Zustand. Wir haben also Dampf abgelassen, vielleicht sogar irgendeine Art von Wiedergutmachung von Seiten des Täters erfahren und wollen jetzt, dass alles wieder gut ist.
Dürfen Menschen vergeben? Wir wollen weitermachen, wie zuvor!
Wir wollen mit unserem Leben weitermachen, wie zuvor. Deswegen fühlen wir uns versucht, zu vergeben. Und das ist das große Problem. Wir begreifen nicht, dass wir von Anfang an in das Spiel mit einbezogen waren.
Nur, weil wir selbst im D+U+M=M Zustand waren, also dumpf im Herzen, unklar im Bauch und uns als minderwertig im Geist angesehen haben, sind wir überhaupt in die Lage gekommen, in der wir diese schmerzhaften Dinge erlebt haben.
Und da wir aus D+U+M=M, also dem traumainduzierten Kollektivzustand der heutigen Menschheit hergekommen sind, wollen wir dorthin auch wieder zurück. Um nochmal auf den vorhin erwähnten Jesus der Bibel zurückzukommen: „Ihr seid von dem Vater, dem Teufel, und nach eures Vaters Lust wollt ihr tun“, wie es in Johannes 8:44 heißt.
Und Jesus war sich dessen völlig bewusst, denn als er in Lukas 18 mit „Guter Meister“ angesprochen wird, antwortet er: „Was heißest du mich gut? Niemand ist gut denn der einige Gott.“ Lukas 18:19
Dürfen Menschen vergeben? Lieber das Schuldspiel beenden!
Eine echte Chance zu nachhaltiger Heilung und Befreiung besteht nur darin, aus diesem Spiel zu erwachen. Nur, wenn wir verstehen, dass es einen vierten Zustand gibt, der völlig unabhängig von den linksdrehenden Zuständen D+U+M=M, H+A+S=S introvertiert und H+A+S=S extrovertiert existiert, können wir in Rechtsdrehung und Selbstwerdung bzw. Anthrosynthese kommen.
Um also in L+E+B=E! zu gelangen, sind wir eingeladen, das Schuldspiel zu beenden, das ja auch die Grundlage zu der Idee von Vergebung bildet. Erwachen und die Heilung des Traumas sind hierbei die Initialzündungen für einen komplett neuen Weg. Den Weg der Rechtsdrehung und der Anthrosynthese.
Aus L+E+B=E!, also aus Liebe im Herzen, Entschlossenheit im Bauch und Bewusstheit im Geist zu leben, erfordert tägliche Anstrengung und innere Arbeit. Sich immer wieder einzugestehen, wenn wir uns im Schlaf von D+U+M=M eingelullt, oder uns in den H+A+S=S – Zuständen verlaufen haben, ist eine andauernde Herausforderung.
Dürfen Menschen vergeben? Lieber heilen & wachsen!
Sie erfordert tägliche hingebungsvolle Praxis und ein Verständnis der verborgenen Hintergründe des fortgesetzten Leidens der Menschheit. Die Grundlagen dafür habe ich in meinen Büchern zur Anthrosynthese auf gut 600 Seiten dargelegt, so dass ein interessierter Mensch sich direkt auf den Weg machen kann.
Und ich kann Dir versichern, dass wir auf diesem Weg immer wieder scheitern. Daran ist nichts verkehrt. Ich selbst erlebe mich jeden Tag nicht nur in L+E+B=E!, sondern auch immer wieder in D+U+M=M und H+A+S=S – Zuständen!
Selbst der schon zweimal erwähnte Jesus geriet in H+A+S=S extrovertiert und prügelte die Händler aus dem Tempel, woraufhin er der Justiz übergeben und gekreuzigt wurde, also H+A+S=S introvertiert erlebte und rief: „Vater, warum hast Du mich verlassen?“
Wir sehen also, dass es für niemanden leicht ist, sich auf den Weg der Anthrosynthese zu begeben und diesen Weg dann auch zu gehen. Dass ich hier mehrfach Jesus zitiert habe, liegt übrigens nicht daran, dass ich dem Christentum anhängen würde.
Dürfen Menschen vergeben? Religion ist Kontrolle
Religionen sind Kontrollwerkzeuge für Menschen im D+U+M=M – Zustand und dienen bei Bedarf dazu, die Menschen in H+A+S=S zu versetzen, so dass man sie zu bestimmten Handlungen verleiten kann, wie z.B. sich in Kriegen gegen andere Menschen und die Erde verheizen zu lassen.
Ich habe ihn deshalb erwähnt, weil das Christentum als „Religion der Vergebung“ gilt und wir doch historisch sehr gut sehen können, dass eine gehörige Portion missionarischer H+A+S=S extrovertiert in ihm steckt. Selbst seine vermeintliche Vergebung ist nur eine systemische Anmaßung.
Wenn wir also verstehen, dass Vergebung notwendig auf H+A+S=S extrovertiert beruht, können wir auch verstehen, wieso Vergebung nichts nachhaltig löst. Und dann können wir bereit werden, unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, indem wir den Weg der Individuation, der Heilung unserer Traumata und letztlich der Anthrosynthese angehen.
Alles (IST) Liebe,
Alexander Gottwald
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Religion ist Rückbindung zu Gott. Es kommt alles auf die innere Einstellung und Freiheit an. Wenn ich dazu einen Pfaffen brauche, kann natürlich schnell Sklaverei daraus werden.
Wenn der Mensch innerlich still wird und einen freien Bewusstseinszustand erreicht hat, kann er sehr wohl „vergeben“. So würde ich das aber gar nicht nennen, sondern eher „nicht nachtragend sein und loslassen“, weil ich den Stachel des anderen, der mich getroffen hat, aus mir entfernt habe und meine „Seelenhaut“ danach wieder glatt und frisch ist. Wenn ich den Stachel nicht entferne und in mir drin lasse, werde ich ihn immer spüren, wenn ich meinem Widersacher persönlich begegne oder an ihn denke.
Matthäus 18:
21 Da trat Petrus hinzu und sprach zu ihm: Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Ist’s genug siebenmal? 22 Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir: nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal. 23 Darum gleicht das Himmelreich einem König, der mit seinen Knechten abrechnen wollte. 24 Und als er anfing abzurechnen, wurde einer vor ihn gebracht, der war ihm zehntausend Zentner Silber schuldig. 25 Da er’s nun nicht bezahlen konnte, befahl der Herr, ihn und seine Frau und seine Kinder und alles, was er hatte, zu verkaufen und zu zahlen. 26 Da fiel der Knecht nieder und flehte ihn an und sprach: Hab Geduld mit mir; ich will dir’s alles bezahlen. 27 Da hatte der Herr Erbarmen mit diesem Knecht und ließ ihn frei und die Schuld erließ er ihm auch. 28 Da ging dieser Knecht hinaus und traf einen seiner Mitknechte, der war ihm hundert Silbergroschen schuldig; und er packte und würgte ihn und sprach: Bezahle, was du schuldig bist! 29 Da fiel sein Mitknecht nieder und bat ihn und sprach: Hab Geduld mit mir; ich will dir’s bezahlen. 30 Er wollte aber nicht, sondern ging hin und warf ihn ins Gefängnis, bis er bezahlt hätte, was er schuldig war. 31 Als nun seine Mitknechte das sahen, wurden sie sehr betrübt und kamen und brachten bei ihrem Herrn alles vor, was sich begeben hatte. 32 Da befahl ihn sein Herr zu sich und sprach zu ihm: Du böser Knecht! Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich gebeten hast; 33 hättest du dich da nicht auch erbarmen sollen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmt habe? 34 Und sein Herr wurde zornig und überantwortete ihn den Peinigern, bis er alles bezahlt hätte, was er schuldig war. 35 So wird auch mein himmlischer Vater an euch tun, wenn ihr nicht von Herzen vergebt, ein jeder seinem Bruder.
Ja, diesen Irrtum kenne ich gut. Ist aber wohl nicht mal sprachlich richtig.
Ja, die eigene Arbeit an der Lösung erlittener Traumata ist durch nichts zu ersetzen.
„Loslassen“ ist bei den meisten Menschen nicht mehr als etwas loswerden wollen.
Hier geht es um Schuldknechtschaft, also um die Vergebung materieller Schulden. Das war früher ein beliebtes Ritual, das Fürsten Beliebtheit im Volk brachte. Und eben auch ein wichtiger Bestandteil des früheren Christentums, wie es Uwe Topper in seinem Werk beschreibt. Auch heute ist das Ritual in Ansätzen noch erkennbar, wenn ärmeren Ländern ein Schuldenschnitt gewährt wird.
Vor ein paar Jahren noch wäre ich wohl in heftigen Widerstand zu Deinen Zeilen gegangen und auch jetzt habe ich beim Lesen Deines Textes ein ganz leichtes Ziehen im hochmütigen Solarplexus gespürt, das ich jedoch glücklicherweise schnell in den Griff bekam. ?
Der Gedanke, jemandem oder auch sich selbst zu vergeben, ist mir nicht unbekannt und er ist tatsächlich sehr verführerisch. Schon auch, weil er impliziert, jemanden bzw. sich selbst mit einem Fingerschnipp aus der Verantwortung für das eigene Tun entlassen zu können.
Doch ich stimme mittlerweile vollkommen mit Dir darin überein, Alexander: Es ist nicht an uns, zu vergeben. Weder heilt es, noch erlöst es uns in irgendeiner Form, sondern führt nur zu einer Verkapselung des Schmerzes, der doch eigentlich so dringend gespürt werden will und irgendwann, so er nicht zugelassen und wie ein sich nach Anerkennung sehnendes, vernachlässigtes Kind umarmt wird, schließlich in Krankheit mündet.
Auch der Wunsch danach, bei jemandem Abbitte zu leisten, dürfte wohl häufig dem selben Motiv entspringen wie dem Desjenigen, der die Absolution erteilt: den tiefen Schmerz und die damit verbundene Reue und Scham nicht spüren zu müssen, den er dem Anderen und damit zugleich auch sich selbst zugefügt hat.
Den Schmerz in uns zu umarmen, bedeutet jedoch letztlich, uns selbst in unserer Ganzheitlichkeit zu umarmen und damit anzuerkennen, was wir sind: lebendige, sensitive Wesen, verletzlich und doch stark genug, um mit etwas Vertrauen am Schmerz wachsen zu können, während wir zu jeder Zeit aus der Fülle der Möglichkeiten schöpfen, die das Leben uns bietet. Manchmal treffen wir dabei die falschen Entscheidungen. Manchmal werden wir dabei verletzt, manchmal verletzen wir dabei Andere. Nicht umsonst sprach der mehrfach von Dir zitierte Jesus angeblich auch: „Wer frei von Sünde ist, werfe den ersten Stein.“ Ein Grund mehr, das – wie Du es nennst – Schuldspiel zu beenden, um Frieden in sich und mit der eigenen (vermeintlichen) Unvollkommenheit finden zu können.
Da schrieb ich Dir noch bei FB, es sei besser, hier direkt im Blog zu kommentieren, Jasmin. Und dann war die Antwortfunktion hier in den Kommentaren auf einmal kaputt, als Du hier kommentiert hattest.
Was das „Schuldspiel“ angeht: Meine Erfahrung ist, dass uns sowohl das um Vergebung bitten als auch das Vergeben selbst schaden. Erst, wenn ich in mir vollkommen ehrlich anerkenne, dass ich jemanden verletzt habe, kann ich aus den Folgen der Tat herauswachsen. Sonst wirken diese Folgen wie ein Trauma und blockieren mich selbst.
Auch darin sehen wir nochmal, dass Vergebung uns nicht weiter bringt, sondern nur kindliche Bedürfnisse bedient, die wir als Erwachsene überwinden sollten.